Die Übersichtsarbeit von Röbl-Mathieu et al. untersucht in einer selektiven Literaturrecherche und unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), wie Impfungen bei Schwangeren, Ungeborenen und Neugeborenen Infektionskrankheiten verhindern können. Sie kommt zu dem Schluss, dass Impfungen ein zentraler Bestandteil der Vor- und Nachsorge bei Schwangerschaft und Geburt sind und sowohl die Schwangere als auch das Ungeborene bzw. Neugeborene vor Infektionskrankheiten schützen können. Beispielhaft wird die Sachlage bei Tetanus, Influenza, Pertussis und Hepatitis B analysiert.
Damit eine Schwangerschaft erfolgreich verläuft, muss sich u.a. auch das mütterliche Immunsystem so umstellen, dass der Fetus nicht als Fremdkörper behandelt, sondern toleriert wird. Dies ist ein komplexer Anpassungsprozess, der sowohl die Schwangere als auch den Fetus anfälliger für schwere Verläufe bei Infektionskrankheiten machen kann. Auch nach der Geburt ist das Immunsystem des Säuglings noch nicht voll ausgereift. Das „adaptive Immunsystem“ ist noch unreif und kann noch nicht auf die vielen Mikroorganismen reagieren. Dies, so betonen die Autoren und Autorinnen der Übersichtsarbeit, ist auch ein Schutzmechanismus, der verhindert, dass es bei dem Neugeborenen zu „überschießende[n] Entzündungsreaktionen“ kommt (263). Das Immunsystem von Schwangeren, Ungeborenen und Neugeborenen ist also besonders anfällig für Infektionskrankheiten.
Während der Schwangerschaft sind Mutter und Kind über den Blutkreislauf verbunden. Neben Nährstoffen überträgt die Schwangere auch Antikörper auf ihr Ungeborenes, wobei der größte Anteil in den letzten vier Schwangerschaftswochen weitergegeben wird. Diese Übertragung von Immunstoffen und Antikörpern während der Schwangerschaft gleicht bis zu einem gewissen Grad die geringe Antikörperproduktion beim Neugeborenen in den ersten Lebensmonaten aus. Muttermilch enthält ebenfalls Antikörper, die auf das Kind übertragen werden. Der Säugling erhält also sowohl während der Schwangerschaft als auch in den ersten Lebensmonaten von seiner Mutter eine passive Immunität (auch Leihimmunität oder Nestschutz genannt), die schützt, bis das Kind selbst geimpft werden kann.
Das Impfen in der Schwangerschaft macht sich bewusst diesen Mechanismus – also das Übertragen von schützenden mütterlichen Antikörpern auf das Ungeborene – zunutze. Röbl-Mathieu et al. zeigen auf, dass das Impfen hier ein doppeltes Ziel verfolgt, denn es schützt sowohl die Schwangere als auch das Kind. Durch eine Impfung ist die Schwangere vor einer Erkrankung sowie möglichen Komplikationen, die auch die Schwangerschaft negativ beeinflussen können, geschützt. Gleichzeitig wird beim ungeborenen Kind eine passive Immunität gegen gefährliche Infektionskrankheiten aufgebaut. In der Schwangerschaft sind Lebendimpfungen kontraindiziert. Dagegen gelten Totimpfstoffe als sicher für die Schwangere und den Fetus. Im ersten Drittel der Schwangerschaft, in dem nicht selten Spontanaborte auftreten, sollten Impfungen vermieden werden, um im Falle eines Abortes zu vermeiden, dass er mit der Impfung in Zusammenhang gebracht wird.
In ihrer Übersichtsarbeit fassen die Autoren und Autorinnen den Stand der Wissenschaft für Impfungen in der Schwangerschaft gegen Tetanus, Influenza, Pertussis und Hepatitis B zusammen. Sie kommen zu dem Schluss, dass bei all diesen Infektionskrankheiten eine gemäß den STIKO-Empfehlungen verabreichte Impfung während der Schwangerschaft das Risiko einer Erkrankung bzw. eines schweren Verlaufs sowohl bei Mutter als auch Kind drastisch senkt. Ebenso zeigen Studien, dass die Impfungen für die Schwangere und den Fetus sicher, wirksam und gut verträglich sind.
Im Falle von Pertussis (Keuchhusten), einer hochansteckenden Infektionskrankheit, die durch Tröpfcheninfektion übertragen wird, zeigen Studien beispielsweise, dass eine Impfung zwischen der 28. und 32. Schwangerschaftswoche (bei Gefahr einer Frühgeburt bereits im 2. Trimenon) Säuglinge in den ersten drei Lebensmonaten zu 91 % vor einer Erkrankung schützt. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission STIKO seit März 2020 auch, dass schwangere Frauen in jeder Schwangerschaft gegen Pertussis geimpft werden sollten. Enge Haushaltskontaktpersonen des Neugeborenen sollten ebenfalls vor der Geburt geimpft bzw. ihr Impfstatus überprüft werden.
Abschließend heben Röbl-Mathieu et al. noch einmal die Schlüsselrolle hervor, die Ärzten und Ärztinnen insbesondere im Rahmen der Schwangerenvorsorge bei diesem Thema zukommt. Denn, so die Autoren und Autorinnen, „[t]rotz der Evidenz für den Nutzen sowie die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfungen in der Schwangerschaft für Mutter und Kind zeigen die bisher vorliegenden Daten in Deutschland eine eher geringe Akzeptanz“ (267). Befragungen von Patientinnen zeigten aber immer wieder, dass Schwangere sich häufig nach der persönlichen Empfehlung ihres Frauenarztes bzw. ihrer Frauenärztin richten. Ebenso werden die Empfehlungen der STIKO zum Impfen in der Schwangerschaft von medizinischem Fachpersonal als auch Patientinnen bei der Entscheidungsfindung herangezogen. Es liege also, so das Fazit von Röbl-Mathieu et al., auch an den gynäkologischen Fachkräften, ihre Patientinnen (und deren Familien) aufzuklären und für eine höhere Impfakzeptanz zu werben.
Quelle: Röbl-Mathieu M, Kunstein A, Liese J, Mertens T, Wojcinski M: Vaccination in pregnancy. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 262–8. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0020