PD Dr. Holger Maul ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit einem besonderen Schwerpunkt auf spezieller Geburtshilfe und Perinatologie. Als Chefarzt der Asklepios Klinik Barmbek forscht und publiziert er u.a. zu Faktoren für eine gesunde Schwangerschaft.
EFCNI: Was ist Pertussis und wie verläuft eine Erkrankung bei Früh- und Neugeborenen?
Maul: Pertussis, auch Keuchhusten genannt, ist eine bakterielle Infektion, die durch Bordetella pertussis ausgelöst wird. Sie verläuft in der Regel in drei Stadien: Zuerst haben wir das sogenannte Stadium catarrhale, wo Erkrankte für 7-14 Tagen eine grippeähnliche Symptomatik haben. Dann kommt das Stadium convulsivum, das bis zu sechs Wochen, manchmal auch länger, anhalten kann. In diesem Stadium können spastische, staccatoartige Hustenanfälle auftreten, die mit so einem richtigen Juchz-Schrei, also massivem Druckaufbau, enden. Der Patient bzw. die Patientin kann davon sogar Rippenfrakturen davontragen. Am Ende klingt die Erkrankung dann mit dem Stadium decrementi aus und es kommt zum Abheilen.
Jetzt habe ich gerade den klassischen Verlauf einer Pertussis-Erkrankung beschrieben. Aber gerade bei jungen Kindern und Säuglingen gibt es atypische Verläufe, auch mit schwersten Erkrankungsbildern. Eins von 200 Kindern kann beispielsweise eine Enzephalopathie (Krankheiten, die die Gehirnstruktur oder -funktion beeinflussen) entwickeln mit bleibenden Schäden. Krampfanfälle können auftreten. Insbesondere Säuglinge können an Pertussis versterben. Das ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die bei vielen in Vergessenheit geraten ist. Sie ist aber auch deswegen in Vergessenheit geraten, weil wir von der Vergangenheit leben. Wir hatten ja sehr hohe Durchimpfungsraten. In der DDR gab es beispielsweise eine Impfpflicht, sodass wir bis 1990 eine Durchimpfungsrate von 100 Prozent hatten. Und auch im Westen waren die Durchimpfungsraten sehr hoch. Seit 2000 sehen wir aber leider wieder eine zunehmende Zahl von Pertussis-Erkrankungen in Deutschland. Das ist eine Entwicklung, die wir unbedingt stoppen müssen.
EFCNI: Sie haben ja nun erklärt, warum Pertussis so eine schwere Erkrankung ist und dass das Impfen eine gute Schutzmaßnahme darstellt. Wie ist das bei Schwangeren? Warum kann eine Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft ebenfalls sinnvoll sein?
Maul: Mit einer Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft schützen wir vor allem diese sehr gefährdeten Säuglinge. Eines von 1.000 Kindern, das an Pertussis erkrankt, stirbt und das ist nicht hinnehmbar. Frühgeborene sind noch gefährdeter. In Deutschland kommen 10 Prozent der Kinder zu früh auf die Welt und da darf uns am allerwenigsten etwas passieren, auch wenn zugegebenermaßen die Zahl der Pertussis-Infektionen insgesamt eher gering ist.
Indem wir die Schwangere impfen, haben wir natürlich nicht nur sie selbst geimpft, sondern wir haben auch gleichzeitig eine Antikörperproduktion initiiert, die dann aufs Kind übergeht und dem Kind einen Nestschutz bietet. Dann haben wir auch noch die Immunglobulin-G-Antikörper (IgG), die aufs Kind übertragen werden und einen gewissen Immunschutz darstellen, bis wir dann die Kinder später auch selber impfen können. Auf diese Weise schließen wir bei Säuglingen eine Schutzlücke.
Durch die Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft haben wir übrigens auch einen wunderbaren Nebeneffekt: Es gibt ja keine Einzelimpfung, sondern eine Kombinationsimpfung, die u.a. auch Diphtherie und Polio abdeckt. Auf diese Weise sind nicht nur die Mütter gleich komplett geimpft, sondern auch die Kinder mit dem Nestschutz viel breiter ausgestattet, als es bisher der Fall ist.
EFCNI: Können Sie noch einmal genauer erklären, wie sich der Impfschutz auf das ungeborene Kind überträgt?
Maul: Die Mutter produziert nach der Impfung in hoher Menge Antikörper der Klasse IgG (Immunglobulin-G-Antikörper). Diese kleinen Antikörperstückchen gehen dann auch auf den Fötus über und bleiben dort im Serum bis zu drei Monate nachweisbar. Dadurch erhält das Kind eine Leihimmunität von der Mutter, die im Übrigen auch für alle anderen Antikörper der Klasse IgG funktioniert. Diese Antikörper schützen das Kind vor einer infektiösen Umgebung, also gegen verschiedene Viren, verschiedene Pilze, aber eben auch gegen schlimme Erkrankungen wie Pertussis. Auch beim Stillen werden Antikörper der Gruppe IgA mit der Muttermilch auf das Kind übertragen, die einen zusätzlichen Infektionsschutz darstellen.
EFCNI: Warum sollte man zwischen der 28. und 32. Schwangerschaftswoche gegen Pertussis impfen? Was ist, wenn man früher oder später impft?
Maul: Wenn man später impft, hat man, so ist die Vermutung zumindest, keine ausreichende Impfreaktion mehr, sodass man keine Serumspiegel IgG bekommt, die hoch genug sind. Deswegen ist später impfen nicht so ideal.
Man kann aber auch früher impfen. Man kann z.B. im zweiten Trimenon ohne Probleme impfen. Sie können sogar im ersten Trimenon impfen. Aber der Grund, warum man das vermeidet, liegt darin, dass man nicht möchte, dass relativ häufig vorkommende Schwangerschaft-Komplikationen, wie zum Beispiel eine Frühgeburt, die 10 Prozent der Schwangeren betrifft, in Verbindung mit der Impfung gebracht werden. Deswegen geht man in diesen späteren Zeitraum, denn das ist rechtzeitig genug, um noch hohe Antikörper-Spiegel zu erzeugen. Durch das spätere Impfen vermeidet man außerdem, dass bei Schwangeren, sollte es doch zu Schwangerschafts-Komplikationen kommen, der Eindruck entsteht, dass sie durch die Impfung ausgelöst wurden. Frühgeburten oder auch andere Komplikationen werden im Allgemeinen nicht durch Impfungen ausgelöst – das ist auch in Studien immer wieder bestätigt worden. Aber subjektiv kann bei der Schwangeren natürlich dieser Eindruck entstehen und dann sehr belastend sein – das wollen wir durch eine zu frühe Impfung vermeiden. Aus rein medizinischer Sicht aber wäre es kein Problem.
EFCNI: Wie lautet denn dann die Impfempfehlung für Schwangere, bei denen sich eine Frühgeburt abzeichnet?
Maul: In so einem Fall würde man früher impfen. Dann spricht man noch intensiver mit der Patientin, damit sie Bescheid weiß. Die Frau hat ja in der Regel auch den Wunsch, dass ihr Kind geschützt ist. Man kann aber auch ganz anders reden mit einer Schwangeren, die von vornherein weiß, dass sie ein höheres Risiko für eine Frühgeburt hat. Sie weiß dann, dass, wenn es zur Frühgeburt kommt, dies nicht mit der Impfung zusammenhängt, sondern damit, dass sie eben ein Frühgeburtsrisiko hat.
EFCNI: Eine andere Frage, die immer wieder im Zusammenhang mit der Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft auftaucht, ist die Frage nach dem Unterschied zwischen dieser Impfung und der Kokon-Strategie, bei der die engen Kontakte um das Neugeborene herum geimpft werden. Können Sie die Unterschiede zwischen diesen beiden Strategien erläutern?
Maul: Es gibt in der Tat Studien zur Kokon-Strategie, die ja auch viele Jahre in Deutschland zum Tragen kam. Es hat sich aber gezeigt, dass die Kokon-Strategie längst nicht so wirksam ist wie das Impfen in der Schwangerschaft. Die beste Maßnahme ist wirklich die Impfung in der Schwangerschaft, weil dadurch das Kind direkt die Pertussis-Antikörper mit auf den Weg bekommt. Das Kind hat einen eigenen Schutz. Das ist bei der Kokon-Strategie nicht der Fall und dann müssen Sie hoffen, dass wirklich alle, die mit dem Neugeborenen in Kontakt kommen, auch gegen Pertussis geimpft sind. Allein im Krankenhaus kommt das Neugeborene ja schon mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt, da lässt sich schlicht nicht garantieren, dass auch alle geimpft sind. Nein, die Impfung in der Schwangerschaft ist der bessere Weg.
EFCNI: Wie gestaltet man ein erfolgreiches Aufklärungsgespräch zur Pertussis-Impfung? Welche Aspekte sind dabei zu beachten und was sind Ihre Erfahrungswerte?
Maul: Was nach meiner Erfahrung überhaupt nicht funktioniert, ist Ängste zu schüren. Da reagieren die Menschen eher ablehnend und werden skeptisch. Ich versuche daher normalerweise, mit nüchternen Zahlen zu beraten. Ich sage den Eltern meist, dass das Risiko sehr gering ist, dass ihr Kind Pertussis bekommt, warne aber gleichzeitig, dass, wenn es die Familie dann doch trifft, es eine schlimme Erfahrung für alle ist mit so ernsten Konsequenzen für das Kind, dass sie sich Vorwürfe machen werden, dass sie keine Präventionsmaßnahmen getroffen haben.
EFCNI: Wie lassen sich Praxisabläufe so organisieren, dass Patientinnen rechtzeitig und umfänglich zum Thema Impfen in der Schwangerschaft informiert und dann auch zum richtigen Zeitpunkt geimpft werden?
Maul: Zum einen sollte das Thema Pertussis-Impfung sichtbar im Mutterpass auftauchen. Zum anderen sollte es ganz klar zu Anfang mit anderen Themen wie Ernährung und Sport und Bewegung angesprochen werden. Leider ist mein Gefühl oft, dass sich nicht alle Kollegen und Kolleginnen wirklich die Mühe machen, mit ihren Patientinnen so zu reden, dass sie es verstehen und sich auch ernst genommen fühlen. Es gibt in Deutschland inzwischen zu wirklich allen Themen rund um die Schwangerschaft hervorragende Informationsmaterialien, beispielsweise beim RKI oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Diese Materialien lassen sich wunderbar für die Aufklärung heranziehen. Das macht es eigentlich einfach. Sie müssen aber bereit sein, einmal – möglichst am Anfang – Zeit in die Patientin zu investieren. Nach meiner Erfahrung lohnt sich diese Investition, denn sie baut Vertrauen auf und gibt der Patientin das Gefühl, dass sie ernst genommen und dass sich für ihre Belange interessiert und Zeit genommen wird. Dann ist sie in der Regel auch offener gegenüber neuen Informationen und Vorschlägen und spätere Termine laufen schneller und ohne große Diskussionen ab.
EFCNI: Vielen Dank für das Gespräch.